Interview mit Lars Harmsen & Florian Pfeffer

Herzlich willkommen! Lars Harmsen und Florian Pfeffer bei den Stilvorlagen #10

Lars, du arbeitest nicht nur als Gestalter, sondern auch als Redakteur und publizierst einen eigenen Blog über Design. War der Wunsch, dich selbst mit solchen Projekten zu beauftragen, von Anfang an ein Teil deiner Designarbeit?

2004 habe ich den ‹Slanted-Blog› aus dem Wunsch heraus gegründet, mich mit Freunden über Typografie und Design auszutauschen. Zu der Zeit gab es nicht viele deutsche Blogs. Damals hat man noch seine Freunde angerufen und gesagt: „Hey, ich habe einen Eintrag im Blog gemacht, schau ihn dir an!“ Eigentlich wollten wir unser Schriftenlabel ‹Volcano Type› promoten, was gänzlich in die Hose gegangen ist. Wir haben nicht mehr Schriften verkauft, hatten aber plötzlich einen Blog. Über diesen Weg haben sich viele andere Türen geöffnet. Erst war es ein Blog, dann ein Magazin und dann haben wir angefangen, Bücher zu machen.

Du entwickelst immer wieder neue Projekte. Setzt dich das unter Druck, dich jedes Mal ‹neu erfinden› zu müssen?

Nein, es ist eher eine Notwendigkeit, aus einer unbändigen Neugierde heraus neue Projekte anzufangen. Es ist meine Lebensart, ich habe große Freude daran, etwas auf die Probe zu stellen und herauszufinden, ob es gut ist.

Gibt es einen bestimmten Moment, an dem Ideen zu Projekten werden?

Viele Dinge entwickeln sich in einem ganz natürlichen Fluss. Türen öffnen sich von selbst, weil schon etwas anderes vorher da war. So kannst du eine neue Welt betreten und etwas Neues machen. Natürlich gibt es einen Punkt, an dem man das provoziert, aber damit umzugehen, ist Übungssache. Deshalb gibt es für mich diesen bewussten Moment nicht, an dem ein neues Projekt gestartet wird. Alles ist eher eine Aneinanderreihung glücklicher Zufälle – und Enttäuschungen. Das Scheitern ist auch etwas, das unheimlich viel Energie freisetzt. Wenn etwas nicht klappt, kann man die Richtung ändern.

Sind selbstinitiierte Projekte die besseren Designprojekte und machen sie glücklicher?

Ich bin in einer privilegierten Situation, weil ich die Balance gefunden habe, Dinge, die mir Spaß machen, mit Auftragsarbeiten zu verknüpfen. Den „eigenen Scheiß“ zu machen und überhaupt nicht nach links oder rechts zu gucken, ist fantastisch! Die Projekte, die alles andere als kommerziell sind, und die ich nur für meinen Seelenfrieden mache, nehmen viel Platz in meinem Leben ein. Aber für mich ist es natürlich auch unheimlich befriedigend, bei großen Projekten und schwierigen Kunden zu wissen: Ich kann das, ich kann ihre Welt ein Stück weit öffnen oder verändern.

Lars, siehst du ‹Slanted› eher als Kunst- oder als Desigobjekt?

Nein, das ist keine Kunst, um Gottes Willen! Das ist einfach ein Magazin, das seine Leser sucht und findet. Ich mache es zusammen mit Julia Kahl, meiner Geschäftspartnerin, die in Karlsruhe lebt. Heute ermöglicht uns ‹Slanted›, ganz anders zu reisen: Wir schreiben ein paar E-Mails, besuchen Büros in einer Stadt, die wir nicht kennen und verbringen eine tolle Zeit mit Leuten, die wir vorher nicht kannten. Dann kommen wir zurück und machen uns an die Arbeit. So ein Magazin ist wunderbar – wie eine interessante Frau an meiner Seite, die viele Türen öffnet.

Wie kam es dazu, dass sich ‹Slanted› anfangs mit konkreten Designthemen auseinandersetzte und sich nun Ländern und Städten widmet?

Uns sind einfach die Schriftkategorien ausgegangen! Mit den Städten sprechen wir mehr Leute an. Die Reiseziele sind mehr oder weniger Wunschreisen. Die Leute auszuwählen ist total einfach. Über Recherche kommst du von Pontius zu Pilatus. Oft haben wir jedoch das Konzept vor Ort geändert: Wir sind nach Istanbul gefahren, um interessante Grafikdesigner zu treffen – aber wir fanden nicht so viele. Dafür gab es tolle Künstler. So haben wir neben Grafikdesignern eine ganze Reihe von Illustratoren und Künstlern präsentiert. In einer Stadt wie New York hast du eher die Qual der Wahl, vor lauter guten Leuten weißt du nicht, wo du hingucken sollst.

Was sagst du zu Florian Pfeffers Buch ‹To Do: Die neue Rolle der Gestaltung in einer veränderten Welt›?

Ich finde es großartig! Es ist bemerkenswert gut geschrieben. Ich mag diese Verschachtelungen – auf der einen Seite die Story und dazu seine Gedanken. Ich finde, dass es viel zu wenig Gestalter schaffen, eine Haltung auszudrücken. Das ist Florian in seinem Buch sehr gut gelungen. Das einzig Komische ist der Geruch des Covers. Ein Freund von mir hat das Buch gekauft und musste gleich den Einband abreißen. (lacht)

Florian, den letzten ‹:output Award› gab es 2014. Wird es in absehbarer Zeit wieder eine neue Runde geben?

Nein, das Projekt haben wir eingestellt. Der erste Award war 1998, da war es total sinnvoll. Es gab keine Plattform für Studentenarbeiten und der Award war eine tolle Möglichkeit, sie zu verbreiten. Heute hat jeder Student seinen Blog und twittert seine Arbeiten. Wir haben gemerkt, dass der Ursprungsgedanke von ‹:output› verloren ging. Der ‹:output Awardwar großartig, aber man muss auch wissen, wann genug ist.

Mit dem Satz «Die Welt ist ein Entwurf» zitierst du Otl Aicher sinngemäß – Was verstehst du unter einem Entwurf?

Wenn man auf die Welt wie auf einen Entwurf blickt, dann ist alles offen. Ich kann die Welt formen, sie in die Hand nehmen und mir Gedanken darüber machen, wie ich sie anders formulieren könnte. Das bedeutet, dass es deutlich mehr Dinge als eine DIN-A4-Seite gibt, die man gestalten kann – und die sind alle so miteinander verflochten, dass sie gar nicht mehr von einander zu trennen sind.

Glaubst du, dass die Welt auch aus einem Angestelltenverhältnis heraus gestaltbar ist?

Ja natürlich! Ich glaube, dass es nicht wichtig ist, ob man selbstständig oder angestellt arbeitet. Ich arbeite ja auch mit Angestellten zusammen – mit den Angestellten unserer Kunden. Die wenigsten sind ihr eigener Chef oder haben eine kleine Firma. Wenn du beispielsweise mit dem mittleren Management von VW zu tun hast, spürst du plötzlich, dass du an einem ganz schön langen Hebel sitzt. Das ist natürlich auch eine Einstellungsfrage: Du musst dir bewusst machen, dass du, wenn du etwas verändern willst, die Möglichkeiten dazu hast oder sie dir schaffen kannst.

Soll Design heute Aktivismus sein?

Nein! ‹Soll› hieße ja, dass ich wüsste, wie es geht und Ratschläge geben kann, wie man was machen soll. Das Interessante ist, dass Design Aktivismus sein kann. Die Frage ist daher: «Mache ich das, was ich gut kann und gern mache?» Wenn es so ist, kann ich etwas Anständiges auf die Beine stellen. Handlungsanweisungen würden zu einer totalen Verarmung der Designlandschaft führen.

Ist Konsum als passive Tätigkeit auch Gestaltung oder fängt Gestaltung erst bei bewusster, aktiver Handlung an?

Konsum ist total wichtig, weil es nicht funktioniert, nicht zu konsumieren. Wir können aber überlegen, wie wir was verbrauchen – das ist eine Entscheidung, die jeder treffen muss. Einfach nur abzuwarten, bis man tot ist, ist keine aufregende Option. Deshalb finde ich die negative Konnotation des Wortes ‹Konsum› nicht besonders hilfreich. Viele Leute sagen «Konsum ist unser Problem!». Das möchte ich sehen, wie die das hinbekommen, nicht zu konsumieren. Ich konsumiere ja auch Bio-Essen. Natürlich ist Konsum ein Gestaltungsmittel und man kann beobachten, dass die Art und Weise zu konsumieren immer wichtiger wird. Konsum ist etwas Aktives.

Du schreibst «Die Wahrheit ist, dass es keine Wahrheit mehr gibt.» Was meinst Du damit?

Als ich neunzehn war, ist die Mauer gefallen. Davor gab es die ‹Guten› und die ‹Bösen› und je nach dem, auf welcher Seite man stand, war die Welt gefährlich. Die Welt war aufgeteilt und es war klar, wie der Hase läuft. Diese Welt und unser Lebensgefühl haben sich sehr verändert. Mit Konsequenzen im Guten wie im Schlechten – mit Verwirrung und Verunsicherung. ‹Wahrheit› steht für ‹Absolutheit› und ‹Gewissheit› – in diesem Sinne gibt es keine Wahrheit. Das heißt aber nicht, dass uns nichts mehr treibt. Gerade diese Veränderungen fordern uns heraus. Ich finde es prima, dass viele Dinge gleichberechtigt nebeneinander existieren können. Wenn man beispielsweise über Holland hinweg fliegt, sieht man diese Tulpenfelder – das sieht total cool aus, es ist aber nur eine Blumensorte. Ich glaube, dass eine wilde Bergwiese interessanter ist. Es gibt keine absolute Wahrheit, die verkündbar ist – auch nicht in der Gestaltung.