Interview mit Richard Niessen

Man hat den Eindruck, dass besonders viele eurer Kunden aus der Kunst– und Kulturszene kommen. Suchen diese Kunden speziell nach euch?

Teilweise ja, aber die meisten sind Freunde oder Leute, die wir irgendwo kennengelernt haben. Nach Abschluss unseres Studiums kamen die ersten Aufträge durch unsere Familien oder frühere Dozenten. Daher würde ich sagen, unsere Kunden kommen irgendwie zu uns und wir zu ihnen.

Bekommt ihr immer noch eure Aufträge in erster Linie dank eures persönlichen Netzwerks?

Damals war es anders als heute. Es gab in den Niederlanden einen unglaublichen Wirtschaftsboom und dadurch sehr viel Arbeit für junge Grafikdesigner. Die Leute kannten unseren Stil und unsere Art zu arbeiten und empfahlen uns weiter. So kamen wir von einem Auftrag zum nächsten. Esther beispielsweise entwarf kleine Lehrhefte für das Stedelijk Museum, auf die dann ein anderes Museum aufmerksam wurde und ebenfalls solche Bücher haben wollte – und so wurde Sie sozusagen zur Lehrbuch-Spezialistin.

Du und deine Ehefrau, ihr habt ein gemeinsames Büro. Wie ist es, verheiratet zu sein und gleichzeitig auch gemeinsam zu arbeiten?

Wir arbeiten erst seit sechs oder sieben Jahren zusammen. Eines unserer ersten Projekte war unsere Hochzeit (lacht), dies war unsere erste erfolgreiche Zusammenarbeit. Wir haben alles dafür selbst entworfen, wir haben Flaggen gestaltet und einen großen Hochzeitskuchen. Es war, als würden sich zwei Welten überschneiden, also haben wir daraufhin begonnen z.B. ein Buch zusammen zu entwerfen. Dabei hat sich Esther um die Bilder gekümmert und ich habe den grafischen Teil übernommen. Bei anderen Projekten, wie bei der “Coin of Trade” zwischen Japan und den Niederlanden haben wir alles zusammen gemacht. In den letzten Projekten hatte zunächst einer von uns den Hut auf, und dann der andere. Es ist immer unterschiedlich.

Kommt es also darauf an, wer von euch zuerst an dem Projekt arbeitet?

Ja, manchmal benötigt der Kunde bzw. das Projekt etwas wirklich
sehr Grafisches, dann mache ich das meistens. Wenn es um Kunstbücher bzw. Bücher mit vielen Bildern und um das Aufbereiten,
Bearbeiten und Editieren von Bilddaten geht, dann fängt Esther an, und ich mache die Typografie. Aber unsere Arbeit vermischt sich am Ende immer wieder ein bisschen.

Was macht Ihr als erstes, wenn Ihr einen neuen Auftrag bekommt?

Wir überlegen, was der Kunde benötigen könnte. Natürlich gibt es auch die Dinge, die wir am liebsten machen würden(lacht). Ich denke, wir sind ziemlich gut darin, mit unseren Kunden zusammen zu arbeiten. Normalerweise reden wir eine Menge und zeigen alle unsere Skizzen – wir machen keine perfekte Präsentation, sondern zeigen den ganzen Prozess – die ersten Ideen und wie sich diese entwickelt haben. Ich zeige alle meine Designentscheidungen, den ganzen Kreativprozess, um den Kunden weitestgehend zu involvieren und damit er verstehen kann, warum wir welche Entscheidung aus welchem Grund getroffen haben. Für uns ist der Kunde Teil unseres Designteams.

Eure Arbeit ist häufig eine Kombination aus Buchstaben, Ornamenten, Strukturen und Mustern, außerdem gibt es immer ein Raster, warum?

Früher spielte das Raster für mich eine noch viel größere Rolle, doch seitdem ich mit Esther zusammenarbeite hat sich meine Arbeit ein wenig verändert. Sie ist nicht so eng, und sie ist künstlerischer geworden (lacht). Und jetzt versuche ich ein bisschen spielerischer zu werden.

Noch einmal zum Thema Raster – welche Rolle spielte es denn?

Ich liebte es schon immer, Türme zu bauen. Wie ein Kind mit Lego oder irgendetwas anderem. Wenn Du ein Element dazu gibst, dann kannst Du etwas damit machen. Ich wollte das gleiche auch in der Grafik machen, daher habe ich alles mit der Hand und Linealen gezeichnet. Als ich anfing mit dem Computer zu arbeiten, entdeckte ich, dass dieser meine Art zu arbeiten viel einfacher und schneller macht. Doch zum Raster: Ich mag vor allem den Kontrast zwischen Strukturiertem, Modernem und etwas Dekorativem. Etwas dekoratives zu machen kann die Struktur lebendiger und damit attraktiver machen.

Deine Art zu arbeiten ist sehr experimentell. 2005 hast Du in einem Interview gesagt, dass du diese Experimentierfreude bei den Studenten vermisst. Ist das heute auch noch so?

Ja, ich vermisse das immer noch. Und wenn ich darüber nachdenke, vermisse ich es seit dem Interview 2005 noch mehr. Ich glaube, als ich damals an der Rietveld Akademie meinem Abschluss gemacht habe und die Klassen vor und nach meinem Jahrgang bis vielleicht zum Jahr 2000, wirklich richtig experimentelle Abschlussarbeiten zeigten: Filme oder was auch immer, aber bestimmt keine Bücher oder Plakate. Es gab viel mehr Abwechslung. Ich glaube zu beobachten, dass in den letzten zehn bis 15 Jahren eine Spezialisierung stattfindet, aber gleichzeitig werden die Projekte weniger spezifisch. Vielleicht aufgrund des Einflusses des Internets, denn die Studierenden wissen genau, was passiert,
sie kennen die Schriftarten die sie nutzen sollten. Es ist heutzutage wirklich schwierig sich nicht davon beeinflussen zu lassen, daher ähneln sich die Projekte wahrscheinlich sehr. Als ich damals studierte, gab es nicht so viele Möglichkeiten, sich zu informieren und man war folglich nicht den Eindrücken so ausgeliefert.

Gibt es etwas, was Du in der aktuellen Designausbildung ändern würdest?

Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht. In den Niederlanden – und in anderen Ländern – funktioniert Lehre immer gleich. Du bekommst einen Lehrauftrag, dann kommst du Woche für Woche zu deinem Kurs und nach ca. 8 Wochen ist er vorbei. Irgendwie ist es für den Dozenten die einfachste Form zu arbeiten. Gleichzeit bin ich mir unsicher ob dies wirklich die effektivste Form ist Grafikdesign zu unterrichten.

Ist das der Grund dafür das Esther und Du so oft Workshops für Studenten veranstaltet?

Nein, in unseren Workshops versuchen wir einen Weg zu finden, bei dem sich die Studenten entfalten können. Die Arbeit, die währenddessen entsteht, ist nicht mit Grafikdesign verknüpft, eher mit ihnen selbst.

Hast Du einen Tipp für uns Studenten?

Grafikdesign ist keine Programmabfolge. Um einen Überblick über das Fach und seine Bedeutung und Möglichkeiten zu bekommen, sollten Studierende Grafikdesign mit mehr Abstand betrachten. Ein Beispiel dafür wäre ein Flyer, der ein Gefühl für beispielsweise eine Museumsausstellung vermittelt, diese aber dann ganz anders ist als es der Flyer ankündigt. Dieser Effekt sollte grundsätzlich schon Teil des Ausstellungskonzeptes sein, finde ich übrigens. Kurzum: Man sollte nicht alles als selbstverständlich annehmen.