Interview mit Nicolas Bourquin

Wenn man eure Kundenliste anschaut, entdeckt man viele Projekte in der Schweiz. Warum bist du nach Berlin gezogen, wenn ein Großteil deiner Kunden Schweizer sind?

Natürlich hatte ich immer ein oder zwei Schweizer Kunden. Seitdem Thibaud Tissot mein Partner ist, haben wir weitere Kunden dazubekommen. Da er auch Schweizer ist, hatte er auch viele Kunden in der Schweiz, die er mitgebracht hat.

Welche Herausforderungen bringt solch ein Kundenstamm mit sich?

Es bedeutet, dass wir viel reisen müssen. Thibaud unter-richtet zudem regelmäßig in der Schweiz und kann so unsere Kunden vor Ort betreuen. Das Leben als Grafikdesigner in Berlin ist heutzutage ziemlich hardcore: Es gibt sehr viele Grafikdesigner aus der ganzen Welt, die Konkurrenz ist also sehr groß, aber es gibt nur wenig Geld für Aufträge. Wenn man dort überleben will, muss man sich seine Kunden suchen – oder eben mitbringen.

Wie kommuniziert Ihr mit Euren internationalen Kunden?

Am Anfang eines Projekts reisen Thibaud und ich sehr viel, wenn es darum geht, die Kunden kennenzulernen, Vertrauen aufzubauen, Essen zu gehen – und auszugehen (lacht). Sobald man ein Konzept entwickelt und sich darüber verständigt hat, sobald alles läuft, dann funktioniert die restliche Kommunikation über E-Mail, Skype oder Telefon. Am Ende für die Produktion und Präsentation sind wir auch vor Ort. Zudem laden wir andere ein, die noch nicht unsere Kunden sind, wenn wir ein Projekt launchen und versuchen so, sie zu akquirieren. Wir versuchen eigentlich immer Mehrzweckreisen zu machen, wobei wir unsere Kunden bedienen und gleichzeitig neue Kunden akquirieren.

Hört sich so an als ob du eigentlich gar nicht mehr als Designer fungierst, sondern eher als Kundenberater? Wie hat sich dein Status bei onlab entwickelt?

Am Anfang habe ich alles selber gestaltet und sehr viel selbst machen müssen. Die ersten sechs Jahre habe ich Tag und Nacht gearbeitet, alle Wochenenden inklusive und keinen Urlaub genommen – weil ich eben alles alleine machen musste.
Die Leitung, Kundenbetreuung, das Projektmanagement, Administration, Finanzprobleme, Personalmanagement, das Design, das Konzept und die Umsetzung, die Produktionskontrolle – alles. Dann habe ich mir Leute gesucht und irgendwann eine Projektmanagerin eingestellt, die mir sehr viel Arbeit abgenommen hat. Aktuell konzentriere ich mich auf die Konzeption, Akquise und Recherche. Aber es stimmt, wenn ich jetzt gerade einen Tag pro Woche ein bisschen Design mache, ist das schon viel. Ich skizziere aber immer noch sehr viel, und ich bin bei fast allen Projekten mit beteiligt.

Wie kann man sich deine Arbeit vorstellen?

Ich bin verantwortlich, das Konzept zusammen mit den Kunden zu entwickeln. Meine Arbeit entsteht in einer sehr kurzen, intensiven Zeit, oft nicht im Büro, sondern irgendwo im Restaurant, bei einer Autofahrt, im Flugzeug oder wenn ich bei den Kunden bin. Dann skizziere ich und treffe Entscheidungen.
Wenn ich ins Büro zurückkomme, briefe ich das Team. Thibaud ist als Art Director verantwortlich, dass die Ideen, die ich mit den Kunden besprochen und entwickelt habe, formell umsetzbar werden. Dann werden die Designer gebrieft, und es wird gearbeitet. Ich kontrolliere, ob die Ursprungsidee immer noch respektiert wird und ob diese immer noch zum Konzept passt. Ab und zu, wenn wir viel zu tun haben, muss ich InDesign wieder aufmachen (lacht) und gestalten, aber das ist auch schön.

Kannst du onlabs Gestaltungshaltung beschreiben?

Ja, das Inhalt das Wichtigste ist. Im Vergleich zu anderen Büros, wo die Form wichtiger ist, versuchen wir mit den Inhalten zu arbeiten, also die passende Form anhand der Inhalte zu finden. Daher sind wir mittlerweile nicht nur Gestalter, sondern auch Herausgeber, Editoren, Infografiker und haben Journalisten und Architekten im Team. Wir sind ein interdisziplinäres Team und können so an komplexeren Aufgaben arbeiten. Wir haben auch schon von Kunden gehört, dass wir das erste Büro wären, in dem die Grafiker auch die Texte lesen. Das ist schon überraschend, denn es ist wichtig, die Texte zu lesen. Es ist wichtig zu wissen, was man setzt und sich mit dem Thema auseinanderzusetzen um eine Position zu beziehen und somit die passende Form zu finden.

Wie würdest du den Stil von onlab beschreiben?

Die Typographie spielt bei uns eine sehr große Rolle. Wir versuchen immer, mit neuen Schriften zu arbeiten oder Schriften selbst zu entwickeln, je nach Projekt, Wir arbeiten regelmäßig mit drei, vier Foundries zusammen, die uns auch beispielsweise Schriften mehrere Monate vor dem Release-Datum geben, damit wir sie in realen Projekten einsetzen und sie das überprüfen können. Dadurch wird die typographische Arbeit in unseren Arbeiten hervorgehoben.

Würdest du sagen, es gibt ein national spezifisches Grafikdesign? Wenn ja, welche Rolle spielt das bei euch?

Thibaud und ich sind beide Schweizer, unsere Ausbildungen waren sehr davon geprägt. Aber das ist eher Teil unserer Kultur. Es ist die Präszision, die unser Design ausmacht – und das ist vielleicht auch das Schweizerische daran. Die Qualität der Schweizer Plakate ist deutlich besser als woanders in Europa. Die Gestaltung und die Typographie der Produkte sind sehr viel weiter entwickelt als in Deutschland. Design oder Grafik hat in der Schweiz einen ganz anderen Wert. Das findet man auch in Holland oder in Schweden wieder. Das sind Länder, in denen die formelle Sprache im Alltag viel präsenter ist und bewusster eingesetzt wird als in Deutschland.

Welche Rolle spielt Ethik bei eurer Arbeit – insbesondere beim Informationsdesign?

Natürlich kommen auch ethische Fragen auf: Von wem möchte man überhaupt Daten vermitteln? Wir hatten ein paar Beispiele, bei denen wir Jobs abgesagt haben. Das war nicht einfach, weil es natürlich immer auch eine finanzielle Frage ist, denn dank des Jobs könnte man andere Sachen finanzieren. Gleichzeitig muss man sich permanent fragen, ob man die Position, Politik oder die Vergangenheit des Unternehmens unterstützen kann.

 Wie geht onlab in Zukunft mit dem Bereich Infografik um?

Infografiken werden wichtiger. Wir haben in den letzten zwei Jahren gemerkt, dass alle unsere Kunden, plötzlich ihre Daten visualisieren wollen. Sie wollen ihre Prozesse darstellen, zeigen, dass sie umweltgerecht sind oder wie das Geld investiert wird. Mit unserem Wissen und der Schnittstelle von Editoren, Grafikern, Journalisten und der Kreation können wir diese Aussagen als Infografiken anbieten.

Du unterrichtest auch regelmäßig an Universitäten und hast 2011 eine eigene Summer School ins Leben gerufen. Welche Motivation steckt dahinter?

Bei meinem Lehraufträgen und Gastprofessuren habe ich festgestellt, dass ich in einem ein- oder zweiwöchigen Workshop zu einem viel besseren Ergebnis mit den Studenten komme, als wenn ich über sechs Monate oder ein Semester mit einer Klasse arbeite, auch weil die Studierenden bei Semesterprojekten oft fehlten und erst kurz vor der finalen Präsentation ihre Gestaltungsentscheidungen trafen. Ich will nicht sagen, dass die Studenten faul sind, sondern das aka-demische System nicht optimal ist. Das Bachelorsystem finde ich problematisch, also wie es aufgebaut ist und wie es funktioniert. Ich bin an genügend Unis und Hochschulen gewesen, um zu erfahren, dass es nicht funktioniert. Schließlich haben wir gemerkt, dass innerhalb von einer oder zwei Wochen
viel besser gearbeitet wird. Da dachte ich, okay, das müssen wir unbedingt anbieten. Ich habe die Summer School so aufgebaut, wie ich mir das als Student gewünscht hätte –komplett unabhängig von einem akademischen System machen und das in Berlin.

Wie arbeitet Ihr in der Summer School?

Wir laden Experten ein, und am Ende, das ist wichtig, drucken wir. Wir drucken das Ergebnis, egal, wie es aussieht und egal, in welchem Zustand es ist – wir drucken. Und: Dieser Drucktermin ist nicht zu verschieben. Wir sind die ganzen zehn Tage lang vor Ort, Thibaud und ich, um den Teilnehmern auf dem Weg zu helfen, die richtigen Entscheidungen im richtigen Moment zu treffen, damit sie weiter kommen und damit es am Ende ein Ergebnis gibt, das zufriedenstellend ist. Wir haben eine Instanz, die uns Inhalte gibt. Dadurch entsteht auch ein bestimmter Druck. Die Texte sind redigiert und sie sind Teil eines Gesamtkonzeptes. Vor dem Workshop bekommen die Teilnehmer die Texte, so dass sie sich auch vor der Summer School damit auseinandersetzen können. Ein Teil muss gesetzt werden, und für den Rest können sie sich selber neue Sachen überlegen, Interviews führen, Texte in Auftrag geben, andere Texte und Beiträge und das passende Bildmaterial organisieren.

In wie weit spiegelt die Summer School alltägliche Designprozesse wieder?

Wir versuchen unseren Alltag darzustellen. Also wenn ich am Layout sitze, dann habe ich neben mir einen Journalisten. Ich arbeite mit einem Fotografen zusammen, habe einen Illustrator beauftragt – und parallel arbeite ich noch mit zwei Designern, die eine Infografik machen. Das alles kommt zusammen in ein Layout. Und ich habe noch einen Typografen, der mir eine Schrift gestaltet. Diese Arbeitsweise versuchen wir auch zu vermitteln. Dass der Grafiker nur ein kleines Element in einer großen Kette ist – und vor allem, dass der Grafiker die Schnittstelle ist, an der alles zusammen kommt. Wichtig ist, dass man als Grafiker versteht, dass man selbst nur eine kleine Rolle im ganzen Prozess und dass jeder Teilnehmer wichtig ist, wenn man am Ende auch ein gutes Ergebnis haben will. Das versuchen wir mit der Summer School zu vermitteln.

Wie schaffst du das neben dem normalen Bürobetrieb?

Das nimmt uns so viel Energie und Zeit und Investition. Aber wir machen das nicht für unseren Ruf, sondern aus der Überzeugung, dass unser Beruf langsam an einen Punkt gelangt, an dem wir gegen die Wand fahren. An den Hochschulen wird wie in vergangenen Jahrzehnten gelehrt, aber die Welt dreht sich nicht so wie vor 30 Jahren. Da gehen ganz andere Sachen ab. Ich möchte gerne einen Beitrag dazu liefern, es zumindest versuchen, die Lehre anders zu gestalten.