Interview mit Nina Juric

Wir freuen uns, dass Du zu uns gekommen bist und begrüßen Dich hier als Nina Juric. Eine Besonderheit von dir ist, dass du seit jeher verschiedene Künstlernamen benutzt – zum Beispiel auch Bärbel Bold. Wann stellst du dich wie vor?

Das wirkt jetzt so, als lebe ich in Parallelwelten. Seit ich mit Computern und Kunst arbeite, habe ich stets irgendwelche Logins oder Avatare im Netz gehabt – jede Emailadresse ist anders: Ich hatte einen VJ-Namen, einen Skype-Namen usw. Im richtigen Leben werde ich – im Kontext von Nindustrict – mit Truede Noizer und – im Kontext von Letters Are My Friends – mit Bärbel Bold angesprochen. Das sind zwei meiner Pseudonyme, die ich mir über die Zeit für unterschiedliche künstlerische Tätigkeiten zugelegt habe. Ich habe gemerkt, dass Menschen schnell überfordert sind, wenn man zu viele verschiedene Dinge macht. Davon wollte ich aber nicht ablassen und habe meine Tätigkeiten in unterschiedliche Felder sortiert und mit Rollen verknüpft. Diese Trennung klappt ganz gut.

Meiner Meinung nach sind Namen vollkommen überbewertet. Am Ende zählt der Inhalt und die Persönlichkeit. Und die darf man ruhig ab und zu neu entdecken. Es lohnt sich, das spielerisch zu sehen und zu testen, wie ein neuer Name den Charakter und Kontext einer Arbeit, einer Sache oder einer Haltung verändert. Ich sehe dieses Rollenspiel als Werkzeug: ich lerne Seiten von mir kennen, die ich und andere noch gar nicht kannten. Mich interessiert, wie ich damit umgehen kann, wie sie sich auf mein Verhalten auswirken.

Dein Spiel mit den Identitäten passt gut zum Thema der diesjährigen Stilvorlagen „Step Across the Border“. Welche Grenzen überschreitest du?

Ist es schon eine Grenzüberschreitung, verschiedene Namen zu testen? Grenzüberschreitung meint etwas Extremes und bewertet. Man bewegt sich in einem Randbereich, der sich außerhalb der Norm befindet. Und Normen werden von Person zu Person ganz unterschiedlich ausgelegt. Es gibt natürlich ganz viele Grenzen. Aber die eigenen sind die, von denen ich ausgehen kann. Die kann ich erfahren: Grenzen der Neugier, Geduld, Offenheit, Belastbarkeit, Grenzen des Komforts oder der Methode. In meinem Fall ist es so, dass ich über tatsächliches Handeln funktioniere. Es gibt Menschen, die kommen mehr aus dem Kopf. Ich komme aus dem Bauch, entscheide viel intuitiv. Erst, wenn ich einen Gegenstand angefasst habe, kann und möchte ich etwas darüber aussagen. Dann habe ich eine wahrhaftige Information, der ich glaube. Ich brauche Reize, damit ich funktioniere. Innere und äussere.

Wieso darf man nur einen Namen haben? Das hab ich nie verstanden. Das ist aber noch keine Grenzüberschreitung, das ist reine Neugier. Mir macht es Spaß, Sachen zu erfinden und anzuschauen, was passiert, wenn ich sie erfunden habe. In dem Moment, in dem ich etwas probiere, mach’ ich ein Experiment, ich setz’ ein Versuch auf und überprüfe, was passiert. Vielleicht kommt das raus, was ich mir schon gedacht habe oder auch nicht. Da geht es weniger um Grenzen, da geht es vielmehr um das, was während dieses Versuchsaufbaus passiert: um Beobachtung, Zusammenhänge und Entwicklung. Ich bin am Prozess interessiert und probiere (mich) gern aus. Wer bin ich in diesem Prozess? Wie verwandele ich mich dabei? Da kommt schon mal die ein oder andere Frage auf, die sich vielleicht auch an einer Grenze bewegt.

Was ist für dich Design und was ist im Gegenzug Kunst?

Das sind zwei Bereiche, die mich in meiner Arbeit antreiben und die sich meiner Meinung nach gegenseitig beeinflussen. Mich interessiert das Spannungsfeld, das zwischen Kunst und Design entsteht: Kunst muss frei sein und frei sein dürfen und Design soll funktionieren. Design will etwas, Kunst will erstmal nichts und will auch nichts von mir.

Diese Kontraste faszinieren mich. In vielen meiner Arbeiten greifen Design und Kunst ineinander oder stellen sich in Frage. Das eine profitiert bestenfalls vom anderen. Ich finde beide Felder aus ganz unterschiedlichen Aspekten interessant. Kunst hat mich stets angetrieben mich zu bewegen, Design eigentlich nicht. Ich habe bewusst nicht Design studiert. Ich habe angefangen, Kunst und Medien zu studieren, weil mich dieser Dialog interessiert hat. Und da bin ich dann in der Kommunikation gelandet.

Eine Frage zu einem anderen Grenzgebiet: Du bist eine der wenigen Frauen, die bei den Stilvorlagen allein referieren. Stehen zu wenig Frauen ‹ihren Mann›?

Das glaube ich nicht. Ich kenne viele gute Frauen in meinem Feld. Die hättet ihr auch einladen können … Es hat mit der Historie zu tun, dass manche Berufsfelder – wie jetzt auch der Medienbereich – zunächst mit Männern besetzt waren und weniger mit Frauen. Das ist eine vielschichtige Angelegenheit und hat auch damit zu tun, wie sich Rollen, Arbeitsmarkt und Technik generell entwickelt haben.

In meinem Fall kann ich nicht davon berichten, dass ich während meiner Ausbildung etwas anders gemacht hätte oder große Unterschiede zu meinen befreundeten männlichen Kollegen empfand. Ich persönlich habe mich nie besonders anders wahrgenommen. Auch, weil ich das nie wollte! Das hat sicherlich auch mit meinem Umfeld zu tun und wie mich meine Eltern erzogen haben. Ich hatte immer viele männliche Freunde, zudem zwei Schwestern – und eine sehr emanzipierte Mutter.

Die Behauptung, Frauen könnten nicht mit Technik, stimmt einfach nicht. Frauen sind von den Persönlichkeitsstrukturen anders veranlagt und brauchen daher oftmals andere Zugänge. Aber sonst…!?  Ich denke, viele Frauen stehen sich auch selbst im Weg. Oder besser gesagt: generell Menschen, die sich beschränken! Es gibt auch viele Männer, die nichts mit Geld oder Handwerk anfangen können oder gänzlich unbegabt mit technischen Problemen umgehen. Ob Mann oder Frau, die Knackpunkte liegen im Selbstvertrauen und im Selbstverständnis – und das wird in der heutigen Zeit mit ihren komplexen Themen nicht einfacher.

Trotzdem habe ich oft in Agenturen festgestellt, dass Frauen viel öfter beweisen müssen, was sie können. Einem Mann traut man – vor allem technische – Lösungen einfach zu. Solche Situationen gibt es viele, da stimme ich euch zu. Da muss den Köpfen noch einiges passieren. Allerdings auch in den Köpfen der Frauen.

Fällt dir Teamwork leichter oder arbeitest Du auch manchmal allein?

Beides. Ich entscheide mich immer wieder neu. Es gibt Phasen, da will ich lieber meinen Kram machen und keine Kompromisse. Dann gibt es Dinge, die kann man nur zusammen machen – wie Veranstaltungen. Teamwork ist eine antreibende Sache, wenn die Gruppe ausgewogen ist und jeder weiß, was er zu tun hat. Eine gut funktionierende Gruppe aufzubauen, ist jedoch sauschwer! Man muss sich auf die Personen einlassen und das kann nicht jeder gleich gut. Es gibt Egos, Antreiber, Strategen, Arbeiter, Helfer und es gibt jene, die sich in der Gruppe verstecken. Deshalb kann, wenn du gerade DIE Idee hast und sie durchziehen willst, eine Gruppe auch behindern. Die besten Ideen werden meist nicht demokratisch gewählt …

Wenn Leute nicht die richtige Form finden, miteinander zu reden oder sich nicht anerkennen, dann hilft es auch nicht, wenn man der Lauteste in der Runde ist. Damit sind wir wieder beim Kommunikationsthema: Wo treffen sich deine und meine Gedanken, Ziele, Bedürfnisse? Wo ist die gemeinsame Flughöhe? Das rauszufinden ist echt eine Aufgabe!

Das gleiche Problem gibt es natürlich auch mit Kunden. Mir ist es sehr wichtig, erst einmal eine persönliche Verständnisebene zu schaffen: die zwischen dir und mir und nicht die zwischen deinem und meinem Produkt. Wer bist du? Was willst du? Wie funktionierst du? Erst dann kann ich sagen, ob ich etwas für dich tun kann.

Du hast in der Schweiz und auch in Deutschland unterrichtet. Sind dir Unterschiede aufgefallen?

Die Arbeit mit jungen Menschen macht überall Spaß. Es ist interessant, zu sehen, was sie antreibt und worüber sie nachdenken. Es scheint für die Studierenden momentan überall schwierig zu sein, sich auf das Studium zu konzentrieren – egal, ob in der Schweiz oder in Deutschland.

In der Schweiz ist vieles klar und gut organisiert, während in Deutschland – zumindest da, wo ich war – die Struktur und Organisation der Hochschulen nicht schlechter, aber doch sehr anders sind. Alles ist ständig im Umbruch. Überall …

Design ist in der Schweiz eine ganz andere Nummer als hier – gerade Grafikdesign oder Typografie. Alles viel genauer! Das sitzt dort auf ganz anderen Schultern und es gibt eine andere Wahrnehmung von Design, die sich durch alle Facetten des Lebens zieht.

Andererseits gibt es ein sehr gutes, breites Studienangebot an deutschen Hochschulen – die Möglichkeiten sind da, sofern ich es einschätzen kann. Oft fehlen jedoch die strategischen Entscheidungen oder es ist zu schwer, innerhalb der Strukturen inhaltliche Ziele vorwärts zu bringen.

Was sollte am Designstudium geändert werden?

Als ich nach dem Studium in Las Vegas war, habe ich als Art Direktorin, aber auch in der Produktion gearbeitet – dort bekam ich Einblicke in die Zahlen. Es war interessant zu sehen, welche unterschiedlichen Rechnungen aufgemacht werden. Und ich sah, dass die Zahlen eigentlich gar keine Rollen spielen, sondern lediglich vermittelt werden müssen. Ganz unemotional. Das war eine ganz wichtige Lektion.

Wir könnten jeden Tag im Penny unseren Betrag runter handeln, macht aber keiner. Wieso macht das keiner? Weil wir alle keine Lust haben, uns damit zu konfrontieren. Das ist Psychologie. Den Mut aufbringen, zu verhandeln und dann ein Niveau zu halten – das machen viel zu wenig Designer. Für uns gibt es zwar den Bund Deutscher Designer, aber der Markt funktioniert komplett anders, vor allem innerhalb der neuen Medien. Leider gibt es kein regulierendes Controlling. Man muss selbst lernen, seine Leistung im jeweiligen Kontext einzuschätzen. Der Markt kannibalisiert sich so leider auch selbst!

So gesehen sollten grundsätzlich alle Designer Mathe und BWL auffrischen! Interesse, über seinen eigenen Tellerrand hinauszuschauen, schadet sicherlich auch nicht. Vorschlag Nummer zwei: Jeder Designstudent sollte mal als Producer oder als Projektmanager arbeiten – um die Seite zu wechseln und sich bewusst zu machen, welche Infrastruktur man braucht – und um zu sehen, für wieviel er auf dem Markt verkauft wird.

Danke für dieses Schlusswort und für das Gespräch.